Ich will Verbote!

Zum Mitnehmen, wie immer.

Wir leben über unsere Verhältnisse. Deshalb brauchen wir jemanden, der uns auf die Finger haut. Anders ist die Welt nicht zu retten, sagt Autor Sebastian Dalkowski.

23. Februar 2017, 2:59 Uhr Editiert am 27. Februar 2017, 11:24 Uhr DIE ZEIT Nr. 7/2017, 9. Februar 2017

Es war die Gabel. Ein kurzes, weißes, vierzackiges Stück Plastik. Allen Autofahrern, Mobiltelefonbesitzern, Steakessern und Christian Lindners, die mir in den nächsten Minuten einen Vogel zeigen werden, antworte ich deshalb: Sagt, was ihr wollt, aber habt ihr mal die Gabel gesehen?

Eigentlich hatte ich im Supermarkt nur einen Salatkopf kaufen wollen. Das Unglück war, dass ich vorher an der Kühltheke mit den in Plastik verpackten Fertigsalaten vorbeikam. Blätter, Cocktailtomaten, Mais, Putenbruststreifen, Dressing im Plastikbeutelchen. Aufreißen, zusammenkippen, durchmischen, essen. Sogar an eine Gabel hatte der Hersteller gedacht.

Nichts davon hätte ich gebraucht.

Einen Salatkopf kann ich selbst zerlegen. Dressing zusammenrühren auch. Erst recht besitze ich eine eigene Gabel. Ich wollte den Salat schließlich zu Hause essen. Trotzdem dachte ich: Ist doch praktisch, mehr Zeit für mich. Zwei Packungen legte ich in den Korb. Einen Tag später erneut. Die Gabeln warf ich in den Müll. Und ich werde es wieder tun.

Wir alle werden es wieder tun: Sachen konsumieren, die nicht sein müssten. Weil wir bequem sind. Weil wir glauben, sie zu brauchen. Weil unsere Freunde sie auch haben. Coffee to go. Kaffee aus der Kapsel. Wieder ein neues Smartphone. Mit dem Auto in die Stadt, weil es nach Regen aussieht. Mehr Bildschirmdiagonale. Im Sommer nach Neuseeland, im Herbst auf die Azoren und von München nach Berlin fliegen, weil’s schneller geht. Die Tomaten sehen schrumpelig aus, schmeiß ich lieber weg. Sollen wir Pizza bestellen? Der Akku ist schon wieder leer. Ich hatte zwar gerade gestern Steak, aber egal, das habe ich mir jetzt verdient.

Verschwendung ist kein Kavaliersdelikt. Niemand hat das Recht, sich mehr zu nehmen, als er braucht

Es sei denn, uns haut endlich jemand auf die Finger. Es sei denn, jemand sagt: Lass das! Liebe Angela Merkel, lieber Staat, liebe EU, liebe Weltregierung, ich fordere euch hiermit auf: Verbietet mir, was ich gerne haben möchte, aber besser nicht haben sollte. Anders ist die Welt nicht mehr zu retten. Protect me from what I want, sang schon die Band Placebo. Verbote zu fordern heißt, die Fehlbarkeit des Menschen verstanden zu haben.

Die meisten von uns wissen natürlich, dass vieles von dem, was wir kaufen und verbrauchen, nicht gut ist. Und damit meine ich nicht, dass wir davon dick werden und alle möglichen Krankheiten bekommen. Unser Konsum schadet auch uns selbst, klar, aber am meisten schadet er anderen. Denen, die mit uns auf der Erde leben, die wir nicht sehen, weil sie weit weg wohnen. Und denen, die nach uns noch hier leben wollen. In seinem Buch Neben uns die Sintflut wirft der Soziologe Stephan Lessenich den wohlhabenden Staaten vor, die Kosten ihres Lebensstils anderen, ärmeren Regionen aufzudrücken.

Man kann das auch mit Zahlen belegen. In Deutschland ist der Gesamtstromverbrauch heute zehn Prozent höher als noch vor 20 Jahren, nämlich rund 7.380 Kilowattstunden pro Kopf und Jahr. Um diese Menge auf einem Hometrainer zu erzeugen, müsste man 3.075 Tage lang in die Pedale treten. Für die Produktion von einem Kilo Kartoffeln braucht man 100 Liter Wasser, für ein Kilo Rindfleisch 15.000. Trotz eines leichten Rückgangs liegt der durchschnittliche Fleischkonsum in Deutschland noch immer bei 60 Kilo pro Kopf, pro Jahr.

Der sogenannte Earth Overshoot Day markiert das Datum, an dem mehr Rohstoffe verbraucht worden sind, als während des gesamten Jahres nachhaltig gewonnen werden können. 1990 war das noch der 7. Dezember, 2016 war es der 8. August. Ein knappes halbes Jahr lang leben wir über unsere Verhältnisse.

Niemand kann bestreiten, dass das aufhören muss.

Freiwillig allerdings verzichten die wenigsten. Eine Weile hat man das ja versucht: mit Aufrufen, weniger Fleisch zu essen, für kurze Wege das Fahrrad zu benutzen, beim Einkaufen einen Stoffbeutel mitzunehmen. Hat alles nichts gebracht. Gute Vorsätze funktionieren meist nur vorübergehend, danach siegt die Bequemlichkeit. Es ist schon schwer genug, sich das Rauchen abzugewöhnen oder ein paar Kilo abzunehmen – dabei steht da sogar der eigene Nutzen im Vordergrund. Wenn ich ein Steak sehe, denke ich: Lecker! Nicht an die Drei-Stunden-Doku, in der es darum ging, wie viel Wasser, Getreide und so weiter in die Aufzucht eines Tieres gehen, bevor daraus Fleisch auf meinem Teller wird. Kurzfristiger Gewinn sticht Schaden für die Allgemeinheit. Die Folgen unseres Konsums werden wir erst dann bemerken, wenn irgendwann der Ozean vor der Tür steht. Bloß ist es dann eben zu spät.

Wir wären plötzlich viel freier

Man kann natürlich versuchen, mit der Erhebung von Steuern dagegenzuhalten – auf bestimmte Lebensmittel, auf Benzin, auf Fernreisen, auf Flachbildfernseher. Es bringt bloß fast gar nichts. Höhere Steuern schließen nur die weniger Wohlhabenden von der Konsumparty aus, während die Hersteller versuchen, bei den Löhnen und an der Qualität zu sparen, um die Preise zu drücken.

Deshalb lieber gleich verbieten. Auch wenn Verbote niemand mag. Verbot, das klingt nach Stubenarrest und Diktatur. Selbst die Grünen haben ihre Forderung nach dem Veggie-Day in Kantinen schnell beerdigt, als man sie als nörgelige Nanny-Partei beschimpfte. Aber Fleischverzicht ist kein Freiheitsentzug. Und es stellt auch keine unzumutbare Härte dar, mit dem Bus statt mit dem Auto in die Stadt zu fahren. Oder mit dem Fahrrad. Und kommen Sie mir nicht mit Ihren blöden Getränkekisten. Es gibt Fahrradanhänger. Oder Sie trinken Ihr Wasser eben aus dem Hahn. Von Rhabarberschorle steht nichts im Grundgesetz.

Damit die Verbote Wirkung zeigen, darf die Regierung es allerdings nicht bei ein paar symbolischen belassen. Es wäre zwar schön und gut, wenn Plastiktüten, Einwegbesteck und Kaffeekapseln von der Erdoberfläche verschwinden würden – und bisher ist uns ja nicht mal das gelungen, während sich die Industrie immer neuen Müll ausdenkt, Schokoriegel schrumpft, sie einzeln verpackt und dann zusammen mit anderen einzeln verpackten Schokoriegeln in eine große Verpackung steckt. Und kaum gibt es Kühlschränke, die die Umwelt schonen, fahren die Leute mit Autos zur Arbeit, die so breit sind wie Panzer und noch mehr CO₂ in die Luft blasen.

Verbietet doch einfach Plastikverpackungen da, wo sie nicht nötig sind! Verbietet überflüssige Autofahrten, indem jeder Bürger nur noch das Recht auf eine bestimmte Menge Sprit hat! Verbietet die Neuzulassung von Autos, die einen bestimmten Verbrauch überschreiten! Und bei der Gelegenheit: Führt ein generelles Autobahn-Tempolimit von 120 ein! Verbietet auf alte Art erzeugten Strom! Macht Ökostrom zur Pflicht!

Und wer sich nicht an die Verbote hält, der wird vor ein Gericht gestellt, genau wie jemand, der Giftmüll im See entsorgt. Verschwendung ist nämlich kein Kavaliersdelikt. Es ist nicht in Ordnung, alles an sich zu raffen, nur weil es greifbar ist. Niemand hat das Recht, sich mehr zu nehmen, als er braucht.

Und ich hätte noch einen Vorschlag: Jeder Bürger bekommt jährlich ein CO₂-Guthaben, das ihm einige Verbrechen gegen die Natur erlaubt, wofür er dann aber andere unterlassen muss. Kaufe ich mir einen neuen Fernseher, oder fliege ich lieber auf die Malediven? Esse ich das argentinische Steak, oder mache ich einen Ausflug mit dem Motorrad? Aufstocken kann man dieses Guthaben nicht mit Geld, sondern nur, indem man etwas dafür tut. Den Wald vor der Haustür von Müll befreien zum Beispiel. Oder von mir aus auch eigenhändig einen Baum pflanzen, statt irgendwo einen pflanzen zu lassen.

Ich weiß, jetzt kommen die Christian Lindners und sonstigen Freihandelsphilosophen und protestieren, natürlich. Ich will ja auch in keinem Staat leben, der überall Verbotsschilder aufstellt und den Menschen vorschreibt, was sie zu tun haben. Es geht mir aber um das, was sie schlicht nicht tun dürfen, wenn hier auch in 1.000 Jahren noch jemand leben können soll.

Wer sich nicht jeden Herbst ein neues Handy kaufen darf, benutzt eben weiter sein altes. Und wer auf seine Kaffeekapseln verzichten muss, mahlt den Kaffee halt selbst. Na und? Was wir als Konsumfreiheit bezeichnen, ist in Wahrheit oft nur als Recht getarnte Bequemlichkeit. Konsumverbote beschränken die Freiheit zu konsumieren, nicht die politische. Die wird nämlich nicht im Apple Store verteidigt.

Dass weniger Konsum funktionieren kann, ohne dass dadurch die Wirtschaft zusammenbricht, davon sind eine Menge kluger Leute überzeugt. Der britische Ökonom Tim Jackson etwa, der mit Wohlstand ohne Wachstum eine Art Standardwerk zum Thema vorgelegt hat und unter anderem stark verringerte Arbeitszeiten vorschlägt. Was sollte das auch für eine Welt sein, wo es nur läuft, wenn wir möglichst viel kaufen und verbrauchen?

Ich weiß nicht, wann es mich das letzte Mal mehr als ein paar Augenblicke lang glücklich gemacht hat, etwas gekauft zu haben. Meistens geht es mir dabei wie in der Kantine, wenn ich mich trotz guter Vorsätze am Ende doch für die Currywurst entschieden habe und danach denke: Puh, hätte nicht sein müssen. In einer Welt mit vielen Verboten müssten wir uns keine Gedanken mehr darüber machen, ob das, was wir tun, der Umwelt oder unseren Mitmenschen schadet. Kein schlechtes Gewissen ertragen, wenn ein Fahrradfahrer mit Jutebeutel an uns vorbeiradelt. Wir wären plötzlich viel freier.

In Wirklichkeit sehne ich, sehnen wir uns nach dem Mann, der im Supermarkt neben uns tritt und sagt: Plastiksalat mit Plastikgabel? Das stellen Sie mal schön wieder ins Regal. Und dann schaut er uns sehr böse an.